Gottesdienst am Sonntag Kantate - 7. Mai 2023 - Predigt: Pfarrerin Esther Böhnlein

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.  

Liebe Gemeinde,  

jeder Mensch ist manchmal traurig oder niedergeschlagen. Dafür gibt es Anlässe, auf die wir regieren. Wer beispielweise einen geliebten Menschen verloren hat und in Trauer ist, der zeigt Trauerreaktionen: die Tränen fließen, man ist niedergeschlafen oder verzweifelt, zutiefst menschliche und wichtige emotionale Reaktionen. Trauer verläuft bei jedem Menschen individuell, es ist kein Gesetz, dass sie mit Ablauf eines Jahres verschwunden ist. Oft bleibt sie sogar das ganze Leben ein stetiger Begleiter, verändert sich stetig.  

Jeder Mensch ist manchmal traurig oder niedergeschlagen, das ist es nicht. Nein: König Saul geht es nicht gut. Kein Licht, nirgends. Dauerzustand: dunkel. Es fehlt an Antrieb, die Stimmung ist niedergedrückt und Freudlosigkeit hat sich ausgebreitet. Die Gedanken kreisen und geben keine Ruhe. Hier hilft kein „Reiß dich doch zusammen“ oder „Du musst nur wollen!“. Im Gegenteil. Was als Hilfe daherkommt, zeigt in Wirklichkeit entweder das Unverständnis oder die Hilflosigkeit des „Ratschlägers“, der den eh schon niedergeschlagenen Menschen nur noch mehr niederschlägt. König Saul geht es nicht gut. Ob es nun eine depressive Verstimmung oder eine waschechte Depression ist, ist nicht zu erkennen. Eine Depression betrifft den ganzen Menschen. Sie betrifft den Körper, seine Seele, sein Denken, seine Beziehungen zu Menschen. Im 21. Jahrhundert gibt es zum Glück vielfältige therapeutische Möglichkeiten, denn ja: Die Depression ist eine Krankheit. Nichts, was sich durch ein Zusammenreißen lösen lassen könnte. 

König Saul geht es nicht gut. Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag, er steht im Alten Testament im 1. Buch Samuel im 16. Kapitel:  

Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn verstörte ihn. Da sprachen die Knechte Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott verstört dich.  
Unser Herr befehle nun seinen Knechten, die vor ihm stehen, dass sie einen Mann suchen, der auf der Harfe gut spielen kann, damit, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er mit seiner Hand darauf spiele, und es besser mit dir werde. Da sprach Saul zu seinen Knechten: Seht nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir. Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe gesehen einen Sohn Isais, des Bethlehemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der Herr ist mit ihm. Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist. Da nahm Isai einen Esel und Brot und einen Schlauch Wein und ein Ziegenböcklein und sandte es Saul durch seinen Sohn David. So kam David zu Saul und diente ihm.  Und Saul gewann ihn sehr lieb, und er wurde sein Waffenträger.
Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen. Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm. 

1) 

König Saul geht es nicht gut. Die Gedanken ziehen ihre Kreise, es geht nach unten, immer weiter nach unten. Selbst Sauls Gottesglaube ist keine Hilfe. Heißt es doch:  

Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn verstörte ihn. 

Wieso tut Gott das? Wieso quält er Saul? Warum durchbricht er nicht den schwarzen Strudel, der ihn nach unten zieht? Sauls Glaube an Gott bleibt zwiegespalten: das Gefühl von Gottverlassenheit auf der einen Seite, der Glaube als Anker in schweren Zeiten auf der anderen Seite. Der biblische Text findet für diese Ambivalent ein hilfreiches Bild. Es ist ein böser Geist, der Saul quält, aber es ist trotzdem Gottes Geist. Es ist kein anderer Geist, als Gottes Geist, der Saul bewegt, wenn ihm traurig zumute ist. Alles hat seine Ursache bei dem Einen. Auch die Traurigkeit. Seltsam ambivalent, doppelsinnig. Das Gefühl, dass Gottes Macht nichts ausrichten kann und der Glaube daran, dass es Gott gibt – sie widersprechen sich nicht. Der Legende nach hat auch die Dichterin Julie Hausmann diese Erfahrung gemacht: Reiste sie doch im 19. Jahrhundert auf den afrikanischen Kontinent, um dort einen Missionar zu heiraten, in den sie sich verliebt hatte. Als sie ankam, war er verstorben. Ihr Text des Lieds „So nimm denn meine Hände“ aus dem Jahr 1862 erzählt davon: Auch hier steht die gefühlte Machtlosigkeit von Gott neben der Feststellung davon, dass alles seine Ursache und sein Ziel bei dem Einen hat:  

Wenn ich auch gleich nichts fühle 
Von deiner Macht, 
Du führst mich doch zum Ziele, 
Auch durch die Nacht.  

Singen wir: So nimm denn meine Hände, EG 367.  

2) 

König Saul geht es nicht gut. Wer heutzutage an einer Depression erkrankt, der kann sich vielfältige therapeutische Hilfe holen. 4 bis 5% der Menschen in Deutschland leiden aktuell an einer behandlungsbedürftigen depressiven Verstimmung. Der Mehrzahl kann durch Antidepressiva und/oder durch Psychotherapie geholfen werden. Der erste Ansprechpartner ist der eigene Hausarzt, der erste Schritt: sich Hilfe zu holen. Auch König  

Saul braucht auch Hilfe. Er kann sich ebenfalls nicht einfach zusammenreißen der auf Knopfdruck wieder gut gelaunt sein. Einer seiner Knechte schlägt ihm einen besonderen Therapeuten vor: Einen Musiktherapeuten. Die Idee dahinter ist bei Saul die gleiche wie im 21. Jahrhundert: Musik kann uns Menschen in andere Welten bringen. Sie stimuliert Bereiche im Gehirn, zu denen wir mit Worten nicht vordringen können. Musik schafft es, uns auf andere Gedanken zu bringen oder vielleicht auch einfach genau die Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die wir schwer in Worte packen können. Sauls Musiktherapeut heißt David, er spielt ein Harfeninstrument. Seine Musik hat einen solchen Zauber inne, dass Saul in eine andere Welt eintauchen kann:  

Der triste Himmel macht mich krank 
Ein schweres graues Tuch 
Das die Sinne fast erstickt 
Die Gewohnheit zu Besuch 
Lange nichts mehr aufgetankt 
Die Batterien sind leer 
In ein Labyrinth verstrickt 
Oh, ich seh' den Weg nicht mehr 
Ich will weg, ich will raus 
Ich will, wünsch mir was 
Und ein kleiner Junge nimmt mich an die Hand 
Er winkt mir zu und grinst 
„Komm hier weg, komm hier raus 
Komm, ich zeig dir was 
Das du verlernt hast vor lauter Verstand 

Komm mit 
Komm mit mir ins Abenteuerland 

Wir hören Pur: Abenteuerland

 3)

Wenn es mir nicht gut geht, dann drehe ich die Musik im Auto so laut auf, dass der Rückspiegel vibriert. Und natürlich singe ich mit, extra laut. Wenn ich wütend bin, ein wütendes Lied. Manchmal ein Lied von Freiheit und Leichtigkeit, wenn alles ganz schwer ist. Manchmal auch ein Lied, dass mich einfach an schöne Zeiten mit lieben Menschen erinnert. Musik verändert etwas. Im Internet habe ich gefragt: Welches Lied drehst du laut auf, wenn du schlechte Laune hast?  

Eine Theologin schreibt: „Gib das Schiff nicht auf“ von der Band Broilers.  

Eine Frau schreibt: „Never gonna not dance again“ von der Sängerin Pink.  

Ein junger Mann schreibt: Orgelmusik, volles Rohr, alle Register.  

Ein Kardiologe schreibt: „Letzter Tanz“ von Bosse.  

Eine Dame mittleren Alters schreibt: Abba – Dancing Queen.  

Lied anhören: Dancing Queen – Abba  

Egal also ob Beethoven oder Bach, ob Metal, Pop oder Punk. Alle Musikstile haben das eine gemeinsam, wovon unser heutiger Predigttext erzählt: Die Musik ist eine Gabe, ja ein Geschenk Gottes. Sie gehört zu Gottes guter Schöpfung. Jeder schrille Ton, jede Akkordfolge, jeder Nummer 1 Hit genauso wie Nischensongs. Gott lässt seinen Geist durch die Musik wirken. Von frommen Texten weiß unser Predigttext dabei nichts, Musik wirkt wie sie will. Sie schafft es uns Menschen in Bereichen anzusprechen, wohin es Worte nicht schaffen. So kommt uns Gott durch die Musik nahe und lässt uns erahnen, dass es noch viel mehr gibt als das, was wir rational begreifen können. Darum: Dreht das Radio auf, genießt die Orgel/Klaviermusik, singt und trällert und seid dabei sicher, dass ihr Gott ganz dicht auf der Spur seid. Das wusste sogar schon Martin Luther mit dessen Worten ich hier enden möchte:  

„Musik ist ein Geschenk Gottes... So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaft zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, die hitzige und übermäßige Liebe zu stillen, den Neid und den Hass zu mindern. Amen!“ 

Singen wir das Lied 324 – Ich singe dir mit Herz und Mund