Predigt im Erntedankgottesdienst am 19. Sonntag nach Trinitatis von Pfarrerin Esther Böhnlein und Reimund Lebeis

Esther Böhnlein 
Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
 
Liebe Gemeinde,
 
als ich 13 Jahre alt war, bin ich mit meiner evangelischen Kirchengemeinde auf eine Freizeit gefahren. Am Abend haben wir uns gemeinsam den Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore angeschaut haben. Der Dokumentarfilm aus dem Jahr 2003 widmet sich dem Thema der globalen Erwärmung. Ich erinnere mich an das ungute Gefühl in meinem Bauch, an die Hilflosigkeit und die Angst in meinem Herzen. Zum ersten Mal hatte ich verstanden, dass es so etwas wie einen Klimawandel gibt. Das ist nun nicht ganz 20 Jahre her. In meiner Jugend waren die Themen des Klimawandels, der Globalisierung, des weltweiten Hungers und vor allem die Fragen nach Armut und Gerechtigkeit Fragen, die mich beschäftigten. Nicht aus einer Jugendlaune heraus, sondern immer im Raum der evangelischen Kirche, bspw. mit Blick auf unsere Partnergemeinde in Tansania. Als Christin und mittlerweile auch als Pfarrerin ist der Erntedankgottesdienst daher seit jeher für mich mit diesem Themenkomplex verknüpft.  
Nun hätte ich es mir einfach machen können, und einfach – wie ich es sonntags eben meistens tue – allein zu diesem Predigen können anhand des vorgesehenen Predigttextes. Vor einigen Wochen erhielten wir Pfarrer und Pfarrerinnen aber eine Anfrage der sogenannten „Letzten Generation“ mit dem Angebot, sich in die Gottesdienste zu Erntedank einbringen zu können. Meine Beobachtung bis dahin war wie folgt: In unserer Gesellschaft gibt es einen sehr breiten Konsens dafür, dass wir etwas gegen den Klimawandel tun müssen. In Bezug auf die Aktionen der sog. Letzten Generation merke ich aber zunehmend, dass sich unsere Gesellschaft spaltet. Während die einen sich in Rage darüber aufregen können sagen die anderen: „Endlich macht mal jemand etwas, und dann auch noch so friedlich.“ Ich bin nicht evangelische Pfarrerin geworden, um es mir immer möglichst einfach zu machen. Ich predige von der Liebe Gottes, von der Nächstenliebe und von hörenden Herzen. Statt Spaltungen zu befeuern möchte ich mich dafür einsetzen, dass wir uns zuhören. Unglaublich viele Christen und Christinnen engagieren sich im Rahmen der Letzten Generation. Und das ist unsere Chance, die wir als Christen und Christinnen haben: Wir können gemeinsam Gottesdienst feiern. Wir können uns zuhören. Wir können miteinander streiten und wir bleiben zueinander unsere nächsten. Daher habe ich heute Reimund Lebeis eingeladen. Herzlich willkommen! Herr Lebeis ist 71 Jahre alt und er engagiert sich mit der sog. Letzten Generation öffentlich dafür, dass der Klimawandel in den Fokus der Politik gerät. Herr Lebeis, wie kamen Sie denn zu diesem Engagement?

 
Reimund Lebeis 
Guten Tag, ich möchte mich zuerst herzlich bei Ihnen allen bedanken, dass ich heute hier sein darf und das Erntedankfest mit Ihnen feiern darf. Mein Name ist Reimund Lebeis, ich bin 71 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder und zwei Enkeltöchter. Heute begleitet mich auch meine Frau. Wir leben in Andorf, einem kleinen Dorf in der Nähe von Ansbach. Ich war schon immer gerne draußen: Ich liebe Wanderungen, Bergtouren, Fahrradtouren, Zelten. Das habe ich von meinen Eltern gelernt und übernommen. Auch die Arbeit draußen, grade jetzt wieder die Kartoffelernte auf dem Acker unserer „Solidarischen Landwirtschaft“. Ich bin immer wieder so dankbar, dass ich auf dieser wunderschönen Erde leben darf, die uns alle hervorgebracht hat und trägt und nährt: Pflanzen, Tiere und uns Menschen auch. 
In den letzten 50 Jahren habe ich immer mehr verstanden, dass dieses „immer mehr, immer schneller, immer reicher“ mich nicht zufrieden macht. Vor meiner Rente habe ich eine kleine Schreinerei betrieben und da Massivholzmöbel gemacht, die wenige Ressourcen brauchen und wirklich lange halten. Meine Familie und ich versuchen unser Bestes, um verträglich zu leben: Wasserverbrauch, wenig Plastik, wenig Auto, wenig Fleisch - all das. Aber das reicht nicht. Denn auch das habe ich deutlich verstanden: Katastrophale Regenfälle, brennende Länder, unerträgliche Hitze – der Klimawandel hat tragische Folgen für unsere Erde und uns Menschen. In der Wissenschaft ist es unumstritten, dass es sich um einen Menschen gemachten Klimawandel handelt – und dass die Zeit drängt. Daher brauchen wir konsequente, sofortige politische Lösungen, um das Ruder noch irgendwie herumreißen zu können. Deshalb engagiere ich mich im Rahmen der „Letzten Generation“.  
 
 
Esther Böhnlein  
Am Anfang der Bibel, im Alten Testament, da gibt es eine große Erzählung darüber, wie fast alles Leben auf der Erde vergeht. Gott ist sauer auf die Menschen denn seines Erachtens nach sind sie schwach und anfällig für das Böse (1. Mose 6). Er gibt Noah den Befehl eine Arche zu bauen, um seine Familie und die Tiere der Erde dorthin zu retten. Dann lässt er es regnen: vierzig Tage und vierzig Nächte lang. Im 1. Buch Mose heißt es:  
„Das Wasser stieg an und hob die Arche vom Boden ab. Es stieg immer weiter, und die Arche schwamm jetzt frei auf dem Wasser. Es stieg höher und höher, und schließlich waren auf der Erde sogar die Berge bedeckt; das Wasser stand sieben Meter über den höchsten Gipfeln. Da starb alles, was auf der Erde lebte und sich regte: Vögel, zahme und wilde Tiere, al die kleinen Tiere, von denen es auf der Erde wimmelte und alle Menschen. Alles, was Lebensgeist in sich trug und auf dem Land lebte, fand den Tod. (…) Nur Noah und alle, die bei ihm in der Arche waren, blieben übrig“. (1. Mose 7,18-23).  
Eine beängstigende Erzählung. Alles stirbt – alle Pflanzen, alle Tiere, alle Menschen. Als Kind habe ich mich immer gefragt, ob man die anderen Menschen nicht hätte warnen können. „Hey, ihr müsst euch ändern, sonst nimmt das ein böses Ende.“ In den großen Noah Filmen wird Noah dafür ausgelacht – trotz Warnungen. Die anderen Menschen ändern ihr Verhalten einfach nicht. Ist das ein Thema, das Sie beschäftigt?

 
Reimund Lebeis 
Wie bei Noah ist das Problem und auch die Lösung des Problems längst bekannt. Weg von den fossilen Energieträgern, hin zur erneuerbaren Energie. Weg von Kohle, Öl und Gas – so schnell wie möglich. Auf eine sozial gerechte Weise. Aber das Problem ist auch: Das Tempo der Zerstörung überholt uns. Es bleiben nur noch wenige Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen, bevor wir den Kipppunkt überschreiten. Im Bild von Noah hat es quasi schon angefangen zu regnen, die Warnung ist klar und deutlich da. Wir alle hier sind Angehörige der letzten Generationen, die noch etwas zum Guten wenden können. 
Jahrzehnte des Engagements liegen hinter mir. Und da frage ich mich eben schon – was tun, wenn höflich vorgebrachte Bitten, Vorschläge und Forderungen einfach ignoriert werden?  Weil ich alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, ist für mich gewaltfreier ziviler Widerstand das letzte Mittel. Mich treibt die Frage um: Was werden wir denn unseren Kindern sagen, in 20 Jahren, wenn sie fragen: „Was habt ihr damals unternommen, als es noch nicht zu spät war?“
 
Esther Böhnlein  
In der evangelischen Ethik, also in der Disziplin, die nach dem guten Handeln der Menschen fragt, ist der zivile Ungehorsam quasi unumstritten. In der sogenannten Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 heißt es über den zivilen Ungehorsam, dass „damit nicht das ganze System des freiheitlichen Rechtsstaates in Gefahr“ gebracht werde, sondern es sich um „demonstrative, zeichenhafte Handlungen“ handelt. Für die evangelische Kirche gehört „das Eintreten für die Freiheit des Gewissens unverzichtbar zum Erbe des Protestantismus.“ Das alles haben evangelische Theologen und Theologinnen vor knapp 40 Jahren geschrieben. Christen und Christinnen in Deutschland sind allerdings sehr unterschiedlicher Meinungen über die Letzte Generation. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg hat Carla Hinrichs, die Sprecherin der LG, viel Applaus bekommen während eine Kirchengemeinde in Berlin es abgelehnt hat, Aktivisten und Aktivistinnen eine Herberge zu geben.  


Reimund Lebeis 
Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Kirche in der Form meines Protests mit der „Letzten Generation“ auf unserer Seite ist. Unser Anliegen braucht wirklich Unterstützung aus allen Kreisen der Gesellschaft.  


Esther Böhnlein  
Natürlich frage ich mich auch selbst: Was können wir unternehmen, jetzt, wo es noch nicht zu spät ist? Noah hat rechtzeitig angefangen seine Arche zu bauen. Er hat die Verantwortung übernommen, die Gott ihm gegeben hat. Als evangelische Christen und Christinnen haben wir auch Verantwortung: vor allem gegenüber unseren Nächsten und damit auch gegenüber Gottes guter Schöpfung. Denn Klimawandel bedeutet eben vor allem: Hunger, Armut, soziale Ungerechtigkeit, Flüchtlingsströme, Kriege um Ressourcen, das Veröden von Landstrichen und das Überleben zu einer Frage von Reichtum wird. Für meinen Nächsten kann ich all das nicht wollen. Ich möchte es auch für mich nicht.  


Reimund Lebeis 
Erntedank ist die Dankbarkeit für alles, was uns gegeben und anvertraut wurde. Eine Fülle an Wundern, die unsere Lebensgrundlage sind. Wir denken an die Arbeitet dieses Jahres im Garten, auf dem Acker, auf der Wiese, im Stall. Wir blicken zurück auf das, was gut gelaufen ist, welche Schwierigkeiten wir überwunden haben – und auch auf das, was misslungen ist. Wir hoffen auf das nächste Jahr. Wir bitten um gutes Wetter: Nicht zu wenig Wasser und nicht zu viel oder zum falschen Zeitpunkt. Und bitte nicht zu heiß und nicht zu kalt. Und dass wir von unserer Arbeit leben können. So war es schon immer und ich wünsche uns allen so sehr, dass dieser uralte Kreislauf auch in der Zukunft erhalten bleiben wird.  
Aber damit einher geht eben die Verpflichtung, mit dieser einen Erde sorgsam umzugehen. Das tun wir im Moment nicht. Es ist an uns, die Verantwortung für unser Tun auf der Erde zu übernehmen. Dafür haben wir unseren freien Willen. Jeder kann in seinem Leben seinen Beitrag leisten. Handeln! 
Im großen Rahmen aber, in der Gesellschaft, hat die Politik diese Aufgabe. Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat kürzlich gesagt: „Politiker müssen führen. Kein Zaudern mehr! Keine Ausflüchte mehr! Kein Warten mehr, dass Andere den ersten Schritt machen! Dafür ist einfach keine Zeit mehr. Es ist noch möglich, den globalen Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen und das Schlimmste zu verhindern. Aber nur mit dramatischer, sofortiger Aktion.“  
Genau das fordere ich ein: sofortige, konsequente Aktion. 


Esther Böhnlein  
Am Ende der Sintflut Geschichte heißt es: „Und Gott sagte zu sich selbst: Ich will die Erde nicht noch einmal bestrafen, nur weil die Menschen so schlecht sind. Ich will nicht mehr alles Leben auf der Erde vernichten, wie ich es getan habe. Von jetzt an gilt, solange die Erde besteht: Nie werden aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (1. Mose 8, 21f.) 
Ja, ich habe die Hoffnung darauf, dass es anders werden kann. Gott hat uns die Möglichkeit geschenkt, dass wir frei denken und handeln können. Dass wir etwas tun können und sich aus unserem Ernte-Dank eine Verantwortung ableitet, sowohl unserer Schöpfung als auch unseren Nächsten gegenüber. Dorothee Sölle hat in ihrem Glaubensbekenntnis geschrieben: „Ich glaube an Gott, der die Welt nicht fertig geschaffen hat, wie ein Ding, das immer so bleiben muss.“ Hier wird die Hoffnung für mich greifbar: Es ist eben nicht statisch unveränderbar so, wie es die Prognosen vorhersagen. Die Bedingungen von morgen sind nicht gottgewollt und unabänderlich. Verzweiflung hieße, sich selbst und Gott nicht zuzutrauen, dass es anders werden kann. Hoffnung heißt genau das für möglich zu halten, sich dafür einzusetzen, dafür Mut zu machen, dass es uns möglich ist eine Veränderung zu gestalten. Dass Gott selbst dabei ist und uns stärkt. Vielleicht ist es am Ende genau das, was ich heute stark machen möchte: Dass es da einen Gott gibt, von dem ich erzählen darf, der uns Mut, Hoffnung und Kraft dafür gibt, dass wir uns immer wieder neu für Gottes Welt einsetzen. Genau diesen Gott weiß ich an unserer Seite. Amen.

 
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.